Handys sind eine verdammt unzuverlässige Methode, um Kontakte dauerhaft zu sichern. Zumindest dann, wenn die Nummer nicht auf der SIM-Karte gespeichert ist, das letzte Backup vor dem Abspeichern des neuen Kontaktes stattgefunden hat, man nicht die Cloud nutzt und dann das Handy stirbt. So wie bei mir. Mitten in der Nacht und ohne Vorankündigung eines baldigen Ablebens. Keine Hänger, kein Abstürzen, kein Heißlaufen des Akkus, nichts. Ich drückte vergeblich auf den Knopf, der sonst immer das Display zum Leuchten bringt und so meine nächtliche Neugierde auf das Erfahren der Uhrzeit befriedigt. Aber es blieb dunkel. Nicht nur tat sich das Problem auf, nicht zu wissen, wie viel Uhr es ist. Ich hatte gleichzeitig auch keinen Wecker mehr und keinen Draht zu Außenwelt. Einen kurzen Moment tat sich Panik in mir auf. Was, wenn mich nun ein Einbrecher überfällt und ich aufgrund meines nicht funktionierenden Handys keine Hilfe rufen kann? Oder ein Feuer entfacht und ich zuerst die Nachbarn herausklingeln muss, bevor die Feuerwehr verständigt werden kann? Schnell vergewisserte ich mich, dass ich zumindest etwas halbwegs Vorzeigbares anhatte, nur für den Fall der Fälle. Dann aber fiel mir das absolut Schlimmste ein. Was, wenn die Nummern nicht mehr da sind, die ich in letzter Zeit eingespeichert hatte? Solche Nummern, die nur ich hatte, keine meiner Freunde oder andere mir bekannter Personen, da sie aus Kontakten stammten, die ich in einem unabhängigen Umfeld geknüpft hatte.
Die Personen hinter diesen Nummern hatten auch meine Nummer nicht, nur eben ich ihre. Ich fühlte mich plötzlich, als ob ich der letzte Mensch auf Erden wäre, einsam und verlassen. Früher hatte man ein selbstgeschriebenes Telefonbuch. Das war etwas Handfestes. Das hat sich nicht aus purer Lust und Laune in Luft aufgelöst. Ich empfand es als wahnsinnig traurig, nun Menschen für immer verloren zu haben. Obwohl ich bis zu diesem Zeitpunkt Facebook nicht mehr so geneigt war, schwor ich mir plötzlich, in Zukunft doch wieder Freunde hinzuzufügen – nur für den Fall der Fälle. Im gleichen Gedankengang fiel mir auch noch etwas Anderes auf. Von vielen Menschen erfahren wir heutzutage nicht mehr ihren Nachnamen. Man duzt sich sofort, es zählt nur der Vorname. Früher war es normal, auch den Nachnamen zu erfragen, weil man sonst die andere Person nicht im Telefonbuch hätte finden können. Wenn man heute nur eine Handynummer und den Vornamen hat, hat man ein echtes Problem, wenn die Nummer verloren geht. In meiner nächtlichen Panikattacke versuchte ich zunächst, die Wecker-Problematik zu beheben. Wenn früher der Wecker ausfiel, musste man im Idealfall nur die Batterie wechseln. Ich besaß nicht einmal mehr einen Wecker. Zumindest aber ein iPad, das nunmehr als Wecker herhalten musste. So war immerhin das pünktliche Aufstehen gewährleistet. Am nächsten Morgen fragte ich mich, ob mich inzwischen vielleicht jemand vermisst oder ob ich etwas Wichtiges verpasst hatte.
Viel blöder war allerdings, dass ich die S-Bahn-Fahrt ohne musikalische Begleitung durchstehen musste. Ich war also ganz alleine mit mir selbst. Ob ihr es glaubt oder nicht, mir ist so einiges klar geworden. Zum einen, dass es morgens in der S-Bahn ganz schön ruhig ist, weil fast jeder Musik hört oder liest. Zum anderen erlebte ich die Fahrt in Echtzeit, nahm jeden Halt bewusst war, sah die Leute, die ein- und ausstiegen, und dachte darüber nach, welche Geschichten wohl hinter ihnen steckten. Wie sie wohl hießen, welchen Beruf sie hatten, was sie am Vorabend erlebten oder worüber sie nachdachten.
Es war schön meine Umwelt und Mitmenschen so wahrzunehmen. Ich mach das jetzt öfter – auch mit funktionierendem Handy.
Weitere Texte der monatlichen Kolumne #katharinaerzählt findest Du übrigens hier.