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Katharina erzählt – die Studibuch Kolumne

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Katharina erzählt –  Die erste Kolumne von Studibuch. Hier schreibt Katharina, ehemalige Anglistikstudentin und mittlerweile Journalistin, über Geschichten aus ihrer Studienzeit, das Erwachsenwerden und vieles mehr.

Als Studierender hat man es nicht leicht. Die Tücken des Alltags lauern an jeder Uni-Ecke. Kaugummis auf Stühlen, ausgeleerter klebriger Automaten-Kaffee auf dem Flur, Kloaken-ähnliche Toiletten, Mausbefall in der Cafeteria. Ganz besonders gefährlich ist aber: Die Wände haben Ohren. Das hat mein Kommilitone Peter auch mal festgestellt.

 

Die Wände haben Ohren

Es war das erste Semester, Winter, draußen war es kalt.

Peter und ich hatten das selbe Seminar belegt und uns zum Abgeben der Hausarbeit verabredet. Als Neulinge an der Uni macht man ja viel gemeinsam. Egal ob man Räume sucht, Arbeitsaufträge löst, essbare Gerichte in der Mensa ausfindig macht oder eben Hausarbeiten abgibt. Peter und ich standen nun also da, das fertige Ergebnis ausgedruckt und abgeheftet in unseren Händen, stolz und irgendwie ängstlich sie in den Briefkasten am Institut zu werfen. So lautete nämlich die Anweisung unserer Dozentin: „Bitte ausdrucken und in den Institutsbriefkasten werfen“.

Nur gab es da leider ein kleines Problem. Weit und breit war kein Briefkasten zu sehen. Auch mehrmaliges Ablaufen der Gänge brachte keinen Erfolg. Schlau wie wir als Erstis zu sein dachten, fiel uns bald eine Lösung ein. „Ach, die hat bestimmt einen Briefkasten an ihrem Büro gemeint“, waren wir uns einig. Peter und ich wanderten zwei Stockwerke tiefer. Wir steuerten zielstrebig auf die Bürotüre zu, doch mit jedem Schritt wurden unsere Gesichter länger.

 

Wieder kein Briefkasten.

Dafür aber ganz viele teils zerfledderte Zettel an der Türe. Hinweise auf Scheinausgaben, Veranstaltungen, Notenlisten und… Sprechzeiten der Dozentin. Zu diesem Zeitpunkt war uns bereits bewusst, dass es anscheinend keine andere Möglichkeit gibt, als die Hausarbeit persönlich in die Hände der Empfängerin zu drücken. Peter war längst schon genervt und damit endgültig im Alltag eines gestressten Studenten angekommen. Irgendwie hatte man vor dem ersten Semester noch so eine ganze andere Vorstellung vom Studieren. Die allseits verbreitete Meinung, Studierende hätten ständig frei und nichts zu tun hatte sich auch in unsere Erwartungshaltung eingewoben. Während der ersten paar Vorlesungswochen wachten aber auch die verchilltesten angehenden Akademiker auf und stellten fest, dass das doch nicht alles so easy ist.

Peter und ich hielten aber durch und wollten jetzt unser erstes mühevoll geschriebenes Werk einfach nur abgeben. Aber selbst das wurde uns so erschwert. Für Peter war damit klar, wie er seine geistigen Ergüsse würdevoll nennen kann: „Wegen diesem Scheiß, muss ich jetzt nächste Woche noch mal herkommen“, platzte es lautstark aus ihm heraus. Dem Sprechzeitenblatt entnahmen wir nämlich, dass unsere Dozentin dann erst wieder Studierende empfangen würde.

 

So sollte es aber nicht kommen.

Einige Sekunden später öffnete sich die Türe schwungvoll und vor uns stand sie. „Sie können mir diesen Scheiß gerne geben. Nicht vergessen Herr Maier: Die Wände haben Ohren“. Wir hatten einen Schock. Einen der Sorte, der auch noch Monate und Jahre später seine Nachwehen zeigt. Im Prinzip stehen Wände mit Ohren für nichts anderes als Personen die Wahrheit zu sagen, wenn man das gar nicht will. So wie lästern, nur dass das Opfer hört, was man spricht.

Beides gibt einem kein gutes Gefühl, denn sonst bräuchte man ja nicht die Heimlichtuerei. Klar gibt’s auch Menschen, denen das total egal ist. Mir aber nicht. Seit dem Erlebnis mit Peter überlege ich deshalb immer was ich wo wie sage und ob ich die schlechten Gedanken nicht irgendwie anders kompensieren kann als verbal. Ganz getreu der Aussage von Winston Churchill: „Mit bösen Worten, die man ungesagt hinunterschluckt, hat sich noch niemand den Magen verdorben“.

 

[erstellt von Katharina am 01.Dezember 2017]

 

… von der Kostbarkeit der Zeit

Wie viele andere Menschen kurz vor Weihnachten lasse auch ich das Jahr Revue passieren. Überall höre ich „das Jahr ging rum wie nichts“ oder „ich weiß gar nicht, wo die Zeit geblieben ist“. Wo geht die Zeit hin, wenn sie nicht mehr da ist? Puff, ein Tag weg, eine Woche, ein Monat. Was bleibt sind die Erinnerungen an das Gelebte. Je mehr Erlebtes da ist, desto erfüllter das Leben. Insgeheim ist das uns allen bewusst. Und doch lassen wir uns vom Alltag oft so vereinnahmen, dass wir am Ende alles machen, nur nicht das, was wirklich wertvoll ist. „Zeit ist Geld“ lautet heutzutage viel zu oft die Devise.

Wir werden von der Erfolgsvorstellung der Gesellschaft getrieben beruflich möglichst erfolgreich zu sein. Wir stecken wahnsinnig viel Zeit in unsere Ausbildung, noch mehr in Nebenjobs, lassen uns auf unterbezahlte Praktika und Trainee-Stellen zum Niedriglohn ein. Wir nutzen unsere besten Jahre, um uns eine finanzielle Startbahn aufzubauen, von der wir uns dann später irgendwann in die Sphären der Best-Verdiener abzuheben verhoffen. Je mehr Zeit ich mit arbeiten verbringe, desto mehr Geld ist da. Klar, so geht die Milchmädchenrechnung. Aber was passiert links und rechts von meinem Karriereweg? Oder noch viel wichtiger: Erfüllt mich meine Arbeit?

Selbstverwirklichung ist einer der größten Faktoren für Glücksempfinden. Es gibt Workaholics, die in ihrer Arbeit aufgehen und alles für sie geben. Dabei bleibt aber eins auf der Strecke – die erlebte Lebenszeit. Die Augenblicke, an die man als älterer Mensch mit einem Grinsen oder Zähneknirschen zurückdenkt. Am dritten Adventssonntag lag ich, wie jedes Jahr, mit Charles Dickens’ Weihnachtsgeschichte in der Hand auf meiner Couch, als mir dieser Gedanke zum wiederholten Mal kam. Für Ebenezer Scrooge zählt nichts außer seiner Arbeit. Er hasst Weihnachten, weil er an den Feiertagen kein Geld verdient und seinem Mitarbeiter Lohn zahlen muss, obwohl dieser gar nicht arbeitet. Für ihn ist das Fest der Liebe verschwendete Geld-Zeit. Erst mit einem Blick auf sein bisheriges, aktuelles und zukünftiges Leben wird dem Geschäftsmann bewusst, dass er in den letzten Jahren zu viel Zeit in die Arbeit gesteckt hat. Er bekommt noch die Kurve und verbringt seinen Lebensabend als veränderter Mensch. Scrooge ist zwar nur eine fiktive Figur und Dickens schon lange Tod, aber die Lektion der Geschichte ist genauso aktuell wie Mitte des 19. Jahrhunderts. Jedes Jahr zu Weihnachten erinnert sie mich daran, was wirklich zählt. Sein Leben primär mit Geld-Zeit zu füllen sorgt nur für eine Flut auf dem Konto und eine gewisse Gelassenheit.

„Zeit lässt sich genauso wenig zurückholen wie Zahnpasta, die aus der Tube draußen ist“

Es sind jedoch die Abenteuer-Zeiten, Liebes-Zeiten, Reise-Zeiten, Experimentier-Zeiten, Freunde-Zeiten und alle anderen erdenklichen Zeiten, die eine Lebenszeit wirklich wertvoll machen. Nichts umsonst heißt es, Zeit sei das größte Geschenk, das man jemandem machen kann. Denn sie ist limitiert, lässt sich genauso wenig zurückholen wie Zahnpasta, die aus der Tube draußen ist. Also, investieren wir ab sofort doch lieber wieder emotional in die Zukunft und nicht ausschließlich finanziell. Damit wir am Ende unseres Lebens reich an Erfahrungen sind, anstatt viel Geld zu besitzen, das uns weder zum Lachen bringt, noch Zeit in uns.

Dieser Kolumnen-Beitrag von der Kostbarkeit der Zeit ist im Rahmen der Blog-Parade zum Thema „Zeit ist Geld“ von Finanzfisch entstanden. Um die weiteren Beiträge zu diesem Thema zu lesen, schaut auf seinem Blog vorbei.

 

[erstellt von Katharina am 05.Januar 2018]

 

… von der Unbestimmtheit der Zukunft

Wir waren alle mal so richtig jung. Im Kindergarten schwebte uns noch vor Tierärztin oder Feuerwehrmann zu werden, Ballerina oder Baggerfahrer, auf jeden Fall wollten wir irgendetwas mit unserem Leben anfangen, das Spaß macht. In der Grundschule fing dann „der Ernst des Lebens“ an, so teilten mir es jedenfalls regelmäßig die Erwachsenen in meinem Umfeld vor dem ersten Schultag mit. Im Nachhinein betrachtet finde ich das ganz schön fies. Es klingt so, als ob von heute auf morgen Schluss wäre mit stundenlangem Spielplatz spielen und Ruhephasen in der Kuschelecke, gemeinsamen Mahlzeiten mit den besten Freunden. Schulbeginn bedeutet ein Stück des Kindseins abzugeben, man wird in ein Korsett geschnürt und der Tagesablauf mehr als je zuvor von Dingen bestimmt, die man eigentlich gar nicht machen will. Im Alter von sechs Jahren wird dem freien und unbeschwerten Leben ein Prellbock vorgesetzt. Fortan bewegt man sich zwischen Mathe-Doppelstunden, Nachmittagsunterricht und Hausaufgaben. Der Großteil des Tages wird in die Bildung investiert. Unsere Träume von früher verschwinden. Uns wird klar: Um Geld zu verdienen, muss man einen anständigen Beruf erlernen, im Idealfall sogar studieren. Hat man es bis zum Abitur geschafft, ist man zwischen 17 und 19 Jahre alt. Es liegt mehr als ein Jahrzehnt Schule hinter uns. Jetzt, plötzlich, wird man wieder in die Freiheit entlassen. Wir sind selbst für uns verantwortlich. Von quasi null Selbstbestimmtheit im Alltag auf 100 in wenigen Wochen. Kein Wunder, dass viele sich dann für den falschen Weg entscheiden. Wie sollen wir wissen, was wir wirklich mit unserem Leben anfangen wollen, wenn wir noch gar nicht richtig gelebt haben? Deshalb ist ein Studium, oder auch eine Ausbildung, die wichtigste Findungsphase unseres Lebens. Manche haben Glück und noch in der Schule den richtigen Riecher. Andere finden sich erst nach der Schulzeit wirklich selbst, entwickeln sich zu ganz anderen Persönlichkeiten, lernen neue Leute kennen, die andere Dinge machen, was einen selbst dann wieder beeinflusst. Kurz gesagt, zwischen 17 und 25 passiert fast noch mal so viel, wie in den gesamten Jahren zuvor.

Man trennt sich von der ersten großen Liebe, zieht aus, weiß zwar, wo man wohnt, aber nicht wo man im Leben steht oder wo die Reise hingeht.

Die Unbestimmtheit der Zukunft kann zur Belastung werden. Man zweifelt an allem und jedem, realisiert, dass aus Plänen nichts wird und am Ende alles anders ist. Man legt sich weniger gern fest, schaut erst mal was so passiert und dann wird man schon sehen. Man will flexibel bleiben, spontan, immer in Startposition, falls sich eine Möglichkeit auftut, die man auf keinen Fall verpassen will. Man lebt ja nur ein einziges Mal, man muss alles mitnehmen, was geht. So verbringt man einige Zeit, bis sich das schwebende innere Ich leise zu Wort meldet. Vielleicht wäre Verbindlichkeit doch nicht so schlecht. Ein bisschen Sicherheit, zumindest ein grobmaschiges Netz, wenn schon kein doppelter Boden vorhanden ist. Wir werden langsam älter, das Studium neigt sich dem Ende zu. Die Zukunft droht wieder mit einem engen Korsett aus festgelegten Tagesabläufen, die Zeit der Freiheit neigt sich scheinbar dem Ende zu. Dabei entstehen ganz andere Freiheiten, die aus Unabhängigkeiten resultieren. Man verdient mehr Geld als beim Studentenjob, ist nicht mehr auf BAföG oder die Eltern angewiesen, kann sich ein Auto kaufen, neue Möbel, tolle Reisen unternehmen, essen gehen, nicht mehr die billigsten Weine in den Einkaufswagen legen. Man fängt wieder an Pläne für die Zukunft zu machen, stellt sich vor, was man in den nächsten 10 Jahren alles erreichen will. Ob sich diese Dinge dann eher erfüllen als die Berufswünsche damals im Kindergarten, werden wir noch sehen. Wahrscheinlich kommt für immer sowieso alles anders als gedacht.

 

[erstellt von Katharina am 02.Februar 2018]

 

… von dem Bachelor, Hollywood und der Liebe

Gerade läuft die neue Bachelor-Staffel im Fernsehen. Daniel heißt der diesjährige Strahlemann. 22 Single-Frauen buhlten zu Beginn der Sendung um seine Gunst. Er küsste sich durch die Reihen, tat so als sei er der Organisator super romantischer Dates, bei denen zwar immer viel getrunken, aber selten viel gegessen wird und machte eine nach der anderen Komplimente, die einfallsloser nicht hätten sein können. Die Mädels lieferten sich einen Zickenkrieg in ihrer Villa, hübschten sich mit kurzen Röckchen und Hochhaus-Hacken auf, wurden wahlweise ganz verlegen, wenn ihr Rosenkavalier den Raum betrat oder schmissen sich ihm um den Hals. Ich frage mich, wieso. Wieso macht man das mit? Abgesehen von ein paar wenigen ist der Grund wohl die Aussicht auf ein Leben in der Öffentlichkeit nach Ende der Sendung. Andere scheinen tatsächlich ernsthaft an die große Liebe zu glauben. Eine große Liebe, um die man sich erst mal mit zig anderen Frauen schlagen muss. Ich frage mich, ist die Sendung genau deshalb vielleicht viel realistischer, als wir es wahrhaben wollen? Eigentlich ist sie das Gegenteil von dem, was wir von Hollywood gelernt haben. Keine Liebe auf den ersten Blick, kein Mann, der alles für seine Auserwählte tut, kein „alles was zählt bist du!“ nach der ersten Nacht, keine Traumhochzeit. Der Bachelor ist eher so etwas wie Real-Life-Tinder. Die 4D Version unserer heutigen Auswahlzeit. Anstatt die Damen digital wegzuwischen, werden sie in Fleisch und Blut aussortiert. Wenn wir alle ehrlich sind, wissen wir eigentlich ganz genau, dass auch unsere online Bekanntschaften nicht nur uns in Betracht ziehen. Wir sind einer scheinbar endlosen Konkurrenz ausgesetzt.

Es gibt hunderte von Möglichkeiten. Nie hat man das Gefühl das Beste schon zu haben. Man hält sich Optionen offen.

Nichts anderes macht der Bachelor, indem er mehrere potentielle Partnerinnen küsst und sich erst am Schluss entscheidet, wem er die letzte Rose gibt. Das Tragische ist nur, dass uns diese Art der Liebessuche insgeheim gar nicht gefällt. Eigentlich wollen wir nämlich alle Hollywood. Diesen einen Blitzschlag, die volle Aufmerksamkeit, sich fallen lassen zu können und keine Angst zu haben abserviert zu werden, wenn eine etwas bessere Version um die Ecke kommt. Genau wie die Bachelor-Mädels bei einem Gespräch mit ihrem Herzblatt nicht von einer Konkurrentin unterbrochen werden wollen, sind wir es satt, dass neue Matches unsere Aussicht auf die Beendigung des Single-Daseins ruinieren. Wir wollen jemanden, der uns nicht mehr gehen lassen will. Für die allermeisten Menschen wird Liebe auf den ersten Blick für immer ein unerfüllter Wunsch bleiben. Sie passiert nun mal nicht so häufig. Vielmehr entsteht die Liebe, wenn man sich einander widmet, Zeit ineinander investiert und Scheuklappen aufzieht. Nicht ständig links und rechts schaut, sondern sich fokussiert. So einen Film wünsche ich mir von Hollywood. Zwei Menschen, die sich treffen und mal dran bleiben, auch wenn nicht gleich Funken sprühen.

 

[erstellt von Katharina am 02.März 2018]

 

… von der reichen armen Welt

Neulich traf ich während meines Aufenthalts am Flughafen von Istanbul Steve. Steve, schätzungsweise Mitte 20, setzte sich zu mir und begann zu reden. Finance und Accounting habe er studiert – in Großbritannien. Jetzt würde er zum ersten Mal seit zwei Jahren in seine Heimat Nigeria zurückkehren. Ich selbst war auf dem Weg zu einer Freundin nach Mumbai, die ich während des Studiums kennengelernt habe und seit drei Jahren nicht mehr gesehen hatte. Steve und ich bereisten also dank unserer Bildung, wenn auch aus verschiedenen Beweggründen, die Welt. Auslandssemester sind heutzutage normal, internationale Forschungsprojekte sowieso. Die Erde ist ein dicht vernetztes globalisiertes Hochgeschwindigkeitsnetz geworden. Allerdings nicht für alle. Wir, die vermeintlich studierte Elite, profitieren davon.

Millionen andere, vor allem auf solchen Kontinenten wie Asien und Afrika, leiden darunter. Sie bekommen kein Stück vom internationalen Zusammenarbeitswohlstandskuchen ab. Steve war privilegiert, hatte die Möglichkeit nach Europa zu kommen, um sich zu bilden. Ich bin privilegiert, weil ich in Deutschland geboren wurde, studieren konnte und die Welt bereisen kann. Wir profitieren von der großen Welt, die scheinbar nun ganz klein ist. Machen wir uns keine Gedanken um den abgehängten Teil der Erdbevölkerung? Doch, ich glaube schon. Aber in diesem Aspekt sind die anderen, eben diejenigen, denen es nicht so gut geht wie uns, seltsamerweise plötzlich ganz weit weg. Irgendwo in Afrika oder Asien oder Südamerika. Es tun sich andere Entfernungsdimensionen auf, wenn das Problem nicht direkt vor unserer Haustüre liegt. Denken wir an einen Urlaub in Thailand, sagen wir: „Wahnsinn, in 12 Stunden ist man dort. Das ist ja gar nicht weit“. Geht es um Kinderarbeit in Bangladesch, wird es schon weniger konkret: „Das ist ja am anderen Ende der Welt. Was sollen wir da von hier aus schon ausrichten?“. Vielleicht sollten gerade wir, denen reisen möglich ist, dorthin gehen, wo es wehtut. Nicht nur an den schönen Stränden flanieren, sondern auch mal in den verwinkelten Hinterhof schauen. Sind nicht wir es, deren Aufgabe es sein sollte aufzuklären, die Dinge zu verändern, das Sprachrohr anderer zu sein? Wenn nicht wir es machen, wer denn sonst? Die arme Bevölkerung selbst kann sich nicht aus den Zwängen der Weltwirtschaft befreien. Sie sind abhängig von ihr, um zumindest etwas Einkommen zu haben.

Als ich in Mumbai war, habe ich gesehen, wo ein Teil unserer Kleidung herkommt. Aus Dharavi nämlich, dem angeblich größten Slum Asiens. Ganz anders, als es sich vielleicht vermuten lässt, sind die Menschen dort aber nicht von der Armut gebeutelt, nicht wütend oder geknickt. Sie sind froh, zumindest ein bisschen was zu verdienen. Macht es das besser? Nicht unbedingt, aber es zeigt, wie man mit schon einer kleinen Veränderung der Löhne so viel besser machen könnte. Denn das Geld ist da, nur an der falschen Stelle.

[erstellt von Katharina am 06.April 2018]

 

… von den blöden blauen Haken

Vor nicht allzu langer Zeit lernte ich Micha kennen. Wie man das heutzutage so macht, unterhielten wir uns per WhatsApp. Irgendwann geschah es, dass Micha meine Nachricht las, aber nicht antwortete. Die Wirkung bei mir war dieselbe, wie bei vielen anderen Frauen: Es machte mich wahnsinnig. Stunden vergingen, in denen ich bei jedem Aufblitzen des Handydisplays in freudiger Erwartung darauf starrte, nur um mir mitteilen zu lassen, dass Matthias Schweighöfer gerade ein neues Video bei Instagram gepostet hat oder dass meine Tante morgen zum Kaffee vorbeikommt.

Früher zerbrach sich niemand den Kopf, wenn man mal ein paar Stunden nichts voneinander hörte. Heute sind wir dank der ständigen Erreichbarkeit dazu verpflichtet auch verdammt noch mal ständig erreichbar zu sein und erwarten das auch von anderen. Besonders qualvoll wird diese Entwicklung, wenn es um romantische Konstellationen geht.
Keiner weiß heute noch, welche Verhaltensweise wie zu verstehen ist. Früher war alles eindeutig, heute heißt nichts irgendwas. Alles kann nichts oder alles bedeuten. Zeichen deuten hat eine neue Dimension erreicht. Wir sind verwirrt und schweben in der Luft, sezieren WhatsApp-Nachrichten, als hinge vom Aufstöbern einer versteckten Message unser Leben ab, und stellen dann, nach qualvollen Denksportübungen und Geschichtskonstruktionen mit der besten Freundin fest, dass wir einfach nicht dazu imstande sind, überhaupt irgendwas Zufriedenstellendes herauszufinden. Seit die blauen WhatsApp-Haken eingeführt wurden und die letzte Online-Zeit angezeigt wird, sind wir zu paranoiden Kontrollfreaks geworden. Wehe, der/die Liebste hat die Nachricht gelesen und nicht geantwortet oder war online und hat es noch nicht mal gelesen. Das Eifersuchts- und Katastrophenarmageddon tut sich auf.

Noch schlimmer sind ja diejenigen, die die Blaue-Haken-Funktion und Online-Zeitanzeige ausgestellt haben. Sie meinen besonders klug zu sein, und sich der ganzen Farce zu entziehen. Aber falsch gedacht. So ein Verhalten ist sehr verdächtig. Wieso will er/sie nicht, dass ich weiß, wann er zum letzten Mal online war oder ob er/sie schon meine Nachrichten gelesen hat? Ist er besonders freiheitsliebend, ein Betrüger, unnahbar, hat Geheimnisse, will sein eigenes Ding durchziehen oder macht es ihm vielleicht sogar Spaß andere auf diese Art zu ärgern? Ich weiß nicht, was schlimmer ist. Gar nicht zu wissen, ob das Geschriebene schon gelesen wurde, oder eben nicht, obwohl online gewesen, oder gelesen und nicht geantwortet und seitdem mehrmals online gewesen.

Wir steigern uns immer weiter in den Haken-Online-Sumpf hinein, bis wir darin feststecken und weder vor noch zurück können. Kommt dann die erlösende Botschaft, zieht sie uns in Nullkommanichts wieder aus dem Schlamassel und alles scheint vergessen – bis, ja bis, alles wieder von vorne anfängt. Es ist ein Teufelskreis. Dank dieser blöden blauen Haken, oder deren Nichtvorhandensein, scheint ein Liebesbeweis heutzutage nicht mehr ein Blumenstrauß zu sein, sondern die Frequenz, mit der jemand antwortet. Will der eine Partner den Anderen glücklich machen, ist das ganz einfach: Immer schön stetig antworten. Das macht den neuen Kerl dann direkt zum Traumprinzen. Andersrum wird Stille direkt als Desinteresse oder Liebesentzug gewertet. Da sind wir gnadenlos.
Micha, wie vermutlich die meisten Männer, sieht das natürlich nicht so. Also muss ich, wie vermutlich die meisten Frauen, locker bleiben und akzeptieren, dass Männer einfach anders kommunizieren als Frauen. Ob mir das gelingt? Ich lasse es Euch vielleicht irgendwann wissen.

 

[erstellt von Katharina am 04.Mai 2018]

 

… von der Ungeduld

Ich bin furchtbar ungeduldig. Wenn es nach mir gehen würde, sollte alles immer sofort erledigt werden. Wenn ich eine Frage stelle, möchte ich eine Antwort haben, wenn ich im Zug sitze, soll er auch losfahren. Ich will nicht warten. Ich hasse es. Nun kommt es aber so manches Mal im Leben vor, dass sich das nicht vermeiden lässt.

Als ich im ersten Semester von der Verwirrung um die Prüfungsanmeldung eingeholt wurde, war es zum Beispiel so weit. Keiner wusste dank alter Prüfungsordnung, was zu tun ist. Irgendein ausgefüllter Zettel sollte in irgendeine Box, irgendwo auf dem Campus eingeworfen werden. Also versuchte ich Licht ins Dunkel zu bringen und kontaktierte die für mich zuständige Mitarbeiterin im Prüfungsamt. Dann hieß es warten. Tagelang. Währenddessen rückte die Anmeldefrist immer näher, die Panik wurde größer.

Kurz bevor die Massenhysterie ausbrach, kam eine erlösende Information. Ein findiger Kommilitone begab sich auf die Suche und durchforstete sämtliche Gebäude, bis er in einem Gang, auf einem Stuhl platziert, eine Box mit der Aufschrift „Prüfungsanmeldungen“ fand. Er wurde gefeiert wie ein Superstar, er war der Messias mit der frohen Botschaft und wir alle waren gerettet. Meine Ungeduld war außerdem beendet und alles war gut. Spätestens da habe ich festgestellt, dass sich ungeduldig sein gar nicht lohnt. Es nervt nur, ändert aber nichts an den Umständen. Was ich nicht beeinflussen kann, muss ich loslassen. Aber wenn so viel anderes davon abhängt, nur wegen einer einzigen fehlenden Information gar ein ganzes Projekt aufs Abstellgleis gerät, fällt es schwer so zu denken. Da will ich dann wieder alles gleich.

Schier nicht aushaltbare Seelenqualen bereiten mir übrigens Mitmenschen, für die oder mit denen ich planen soll, die aber selbst nicht in der Lage sind zu planen. Teammitglieder bei Gruppenpräsentationen zum Beispiel oder einfach Freunde, die sich auf keine Organisation des Wochenendes festlegen wollen. Es treibt mich in den Wahnsinn, ewig nicht zu wissen, was passieren wird. Ich fühle mich aufgehalten, weil ich gerne vorbereite. Schafft es der Vortragspartner nicht seinen Teil zu machen, habe ich lieber eine vorgefertigte Version in der Hinterhand. Zerschlagen sich Pläne mit Freunden, will ich nicht ohne Alternativplan dastehen. Aber wenn alles klappt, trotz keiner sicheren Zusage, und ich davor schon Arbeit in Plan Bs gesteckt habe, eben weil niemand konkrete Aussagen treffen wollte, ärgere ich mich wegen der vergeudeten Herumüberlegerei. Es ist ein Dilemma.

Natürlich ist eins ganz klar: Das Problem bin ich, nicht die Anderen. Da am Ende tatsächlich meistens alles gut wird und ich mir nur unnötig Stress bereite, ist es an der Zeit an meiner Ungeduld zu arbeiten. Vielleicht sollte ich mal diejenige sein, die sich zurücklehnt und andere machen lässt. Mich beschleicht nur die leise Befürchtung, dass ohne solche Stresser wie mich, die eine oder andere Aktion gar nicht erst zustande kommen würde, weil sich niemand gerne kümmert. Wie auch immer: Sei es, wie es komme, ich habe genug. Ich schwöre der Ungeduld jetzt ab, mache mir keine Gedanken mehr und lebe auch einfach mal so in den Tag hinein. Zumindest probiere ich es mal. Am Samstag.

 

[erstellt von Katharina am 01.Juni 2018]

 

… von der Herausforderung Entscheidungen zu treffen

Ich habe mal gelesen, dass Steve Jobs jeden Tag dasselbe Outfit trug, weil er sich der allmorgendlichen lästigen Frage nach der Kleidung entledigen wollte. Der Grund dafür klingt einleuchtend: Jeder Mensch habe nur eine bestimmte Kapazität Entscheidungen zu treffen, hieß es in dem Artikel. Ist sie aufgebraucht, war’s das mit den Entscheidungen. Also ist die Lösung des Problems, banale Entscheidungen aus dem Leben zu eliminieren und sich nur auf die Wichtigen zu konzentrieren.

In der Praxis bedeutet das nicht nur dieselbe Kleidung in mehrfacher Ausführung zu kaufen, sondern auch die Essensgewohnheiten und Tagesabläufe anzupassen. Immer das Ähnliche einkaufen und essen, zur selben Zeit Sport machen, mit denselben Leute dieselben Unternehmungen am Wochenende planen. Ist ja alles schön und gut. Vielleicht lässt es sich auch teilweise umsetzen. Ich frage mich nur, was man machen soll, wenn man zwar die banalen Entscheidungen umgeht, sich aber dennoch mit einer Vielzahl wichtiger Entscheidungen konfrontiert sieht – vielleicht sogar gleichzeitig. Zum Beispiel: Kurz nach dem Abi soll man entscheiden was man wo studieren will, ob man davor noch reist, wenn ja mit wem (oder alleine?) und wann, müsste davor aber auch noch Geld verdienen, aber wo und wie?

Auch die Frage nach der Signifikanz der Entscheidungen scheint mir eine recht subjektive Angelegenheit zu sein. Für manche Menschen ist es vielleicht von größter Bedeutung die richtige Leine für ihren Hund auszusuchen, während es bei anderen um einen Geschäftsabschluss geht. Ich bin es jedenfalls leid Entscheidungen zu treffen. Es ist so anstrengend. Das beobachte ich nicht nur bei mir, sondern auch bei anderen. Wie oft höre ich: „Ich kann mich nicht entscheiden. Sag Du“. Mental läuft dann ein sehr unangenehmer Prozess bei mir ab. Schon der Gedanke an eine Entscheidung lässt sämtliche Synapsen in meinem Hirn einschlafen. Sie ziehen sich eine Decke über den Kopf, verstecken sich und hoffen sie bleiben verschont. Wie schön wäre es sie einfach mal schlummern zu lassen und anderen das Zepter zu überreichen. Genau aus diesem Grund ist es so wahnsinnig befriedigend, wenn jemand sagt: „Mach dir keine Gedanken, ich habe mir etwas überlegt“.

Die Freude über ein heimlich geplantes Wochenende ist deshalb so groß, weil ein anderer sich alle Entscheidungslast aufgeladen hat. Es ist ein Opfer höchster Güte. Im Alltag erwartet das Leben von uns aber ja oder nein zu sagen und Pläne vorzulegen. Okay, manchmal ist Entscheidungen treffen auch toll. Delegieren macht Spaß. Auch das Vertrauen anderer zu genießen mir Entscheidungen zu überlassen, kann durchaus bereichernd sein. Dennoch, ich bleibe dabei, unterm Strich bin ich entscheidungserschöpft. Werde ich deshalb meine Klamotten vereinheitlichen und meine Einkaufsliste anpassen? Vermutlich nicht. Meine armen Synapsen…

 

[erstellt von Katharina am 06.Juli 2018]

 

… vom Vertrauen in ein gutes Ende

Schon öfter lief mir ein Zitat über den Weg, das mich immer wieder von neuem nachdenken lässt: „Am Ende wird alles gut. Wenn nicht alles gut ist, ist es auch nicht das Ende“. Wer diesen schlauen Spruch ursprünglich von sich gegeben hat, ist unklar. Bei meiner Google-Recherche nach der Quelle fallen die Namen Oscar Wilde, John Lennon und Paulo Coelho, einem brasilianischen Autor. Wer auch immer es war, ich frage mich, in welcher Situation sie steckten, als die Formulierung geboren wurde. Waren sie in einer Tiefphase ihres Lebens? Oder vielleicht auf dem aufsteigenden Ast, aber noch nicht zufrieden? Reicht dann so ein Spruch, um wirklich überzeugt davon zu sein, dass alles mal gut wird?

Oft stellt das Leben uns vor Herausforderungen, von denen wir nicht wissen, wie sie ausgehen. Manchmal fällt es uns leichter, manchmal schwerer den Sprung ins kalte Wasser zu wagen. Der bekannte leap of faith kann uns zu Höhenflügen verhelfen oder dafür sorgen, dass wir so richtig auf die Schnauze fallen. Es erfordert Mut Vertrauen in etwas zu setzen, wovon man nicht überzeugt ist. Man geht ein hohes Risiko ein, in der Hoffnung, dass alles einen guten Ausgang nimmt.

Es gibt aber keine Garantie dafür, dass sich das Vertrauen, das man in jemanden oder etwas setzt, lohnt. Das macht Angst. Und doch müssen wir es manchmal wagen. Das wenigste läuft ab, wie wir es uns gerne wünschen. Andere spielen oft nicht nach unseren Regeln. Unsere Vorstellungen werden enttäuscht, nicht erfüllt oder sogar ganz zunichte gemacht. Die Frage ist, wann es Sinn macht dranzubleiben. Woher weiß man, dass es noch weitergeht, sich die Mühe lohnt, auch wenn es noch so viel Kraft kostet?

Vielleicht ist das volle Fass Vertrauen auch irgendwann mal aufgebraucht, weil es verlorener Liebesmüh zum Opfer gefallen ist. Und wenn das so ist, wie bekommt man es wieder aufgefüllt? Die Überwindung ist groß in etwas Vertrauen zu setzen, wenn die Zweifel so groß sind. Selbst wenn sie klein sind, bleibt die Unsicherheit das Richtige oder Falsche zu tun. Aber was ist im Leben schon sicher? Auch im Sommer scheint die Sonne nicht ununterbrochen und es regnet mal. Sprechen wir ihm deshalb ab die schöne warme Jahreszeit zu sein? Nein, unterm Strich bleibt der Sommer der Sommer, mit all seinen Höhen und Tiefen.

Dennoch hemmt uns der Wunsch nach einem sorglos perfekten Leben oft Täler zu durchwandern und den nächsten Gipfel zu erklimmen, weil es viel anstrengender ist weiterzulaufen als einfach umzudrehen oder in die Gondel zu steigen. Wir geben Freundschaften, Ausbildungen, Liebschaften und Hobbys auf, weil sie uns zu viel werden. Ersatz zu finden ist nicht schwer. Auf der anderen Seite soll man sich natürlich auch nicht aufopfern, sein eigenes Ich zu weit zurückstellen und dabei leiden.

Es ist ein schmaler Grad zwischen Gipfelerklimmung und Absturz. Was zeigt uns, dass es Zeit ist aufzuhören, um größeren Schaden zu verhindern? Die Antwort ist simpel. Nichts und niemand. In diesen Entscheidungen sind wir ganz alleine mit uns selbst. Kein anderer kann so fühlen und denken wie wir selbst. Die Ungewissheit wird immer bleiben, der aufzubringende Mut nie weniger werden und auch das Risiko nicht schrumpfen. Ist der Gipfel aber bestiegen und die Sicht wolkenfrei, dann weiß man, es war gut so. Und wenn der Blick noch wolkenverhangen ist, kommt da vielleicht noch ein höherer Gipfel, den man in Angriff nehmen muss.

 

[erstellt von Katharina am 03.August 2018]

 

… von der späten Erkenntnis

Neulich hörte ich seit langem wieder einen Song. Früher verstand ich die kryptischen Songtexte nicht. Nun machten sie plötzlich Sinn. Es fiel mir wie Schuppen von den Augen, als ich erkannte, worum es in dem Lied ging. Eigentlich würde man ja denken, Sprache sei unmissverständlich. Wenn sie es nicht ist, was dann sonst? Trotzdem hörte ich das Lied und war erstaunt wie falsch ich es doch damals wahrgenommen hatte, und wie richtig es sich jetzt anhörte. Etwas nach langer Zeit im Rückblick zu verstehen ist ein tolles Gefühl. Wir alle kennen Geschichten, die unvollendet blieben, Dinge offen gelassen haben oder für uns schlichtweg unbegreiflich waren.

Es war für uns unmöglich zu verstehen, was aus welchem Grund passiert ist oder wieso Menschen sich auf eine bestimmte Weise verhalten haben.

Völlig vor den Kopf gestoßen und ratlos blieben wir zurück. Emotional im Regen stehend suchten wir nach dem erlösenden Sonnenstrahl, der etwas Licht ins Dunkel bringt. Die Machtlosigkeit zusammen mit dem Unverständnis und der Ungewissheit brachte uns schier um den Verstand. In solchen Situationen ist man so tief in der Misere drin, dass einem sämtliche Fähigkeiten das Ganze von außen zu betrachten fehlen. Das subjektive Empfinden überwiegt. Wochen, Monate, vielleicht sogar Jahre später aber kann der Groschen fallen. So wie bei mir und dem Lied. Dann tut sich ein Horizont auf, den man schon gar nicht mehr erwartet hatte.

Überhaupt steckt das Leben voller solcher unvorhersehbaren Wendungen und Fügungen.

Denn nicht nur wir selbst sind in der Lage den Blick auf Tatbestände zu verändern, sondern auch andere. Klingt logisch, aber manchmal vergessen wir, dass Dinge sich tatsächlich ändern können. Jede Sekunde kann unser ganzes Leben und das unserer Mitmenschen auf den Kopf stellen. Den Status quo gibt es nicht. Wir leben in einem Abhängigkeitsgefüge aus äußeren Umständen, unserer eigenen Persönlichkeit und der von anderen. Wir haben niemals irgendetwas zu 100 Prozent selbst in der Hand. Unser Schicksal liegt zwangsläufig auch in fremden Händen, ob wir wollen oder nicht. Die ganze Welt ist ein Netzwerk, keiner lebt in einer unberührten Blase.

Durch jede Handlung können wir Wellen schlagen, deren Reichweite wir nicht erahnen können.

Zwar macht uns das zu Spielbällen von jedem und allem, aber was für ein wunderbarer Gedanke es gleichzeitig doch ist, dass jeder von uns das Leben eines anderen verändern kann. Schon ein grundloses Lächeln auf der Straße oder eine andere nette Geste kann einem Fremden einen schöneren Tag bereiten. Und auch Menschen in unserem engeren Umfeld können wir durch Kleinigkeiten positiv beeinflussen. Es bereitet mir Freude zu sehen, wie sich ein anderer freut. Umgekehrt kann der Schuss aber auch nach hinten losgehen.

Etwas, das wir gut meinten, kommt ganz anders an. Es ist so ein Sender-Empfänger Problem, das zu Missverständnissen führt. Ich frage mich, ob wir jemals alles verstehen werden, was uns widerfahren ist. Ob jeder von uns für alle Fragezeichen schließlich eine Antwort bekommen wird, irgendwann im Laufe unseres Lebens. Oder, ob doch ein paar Unbekannte bleiben werden, Dinge, die nie ausgesprochen und Taten, die niemals folgen werden.

 

[erstellt von Katharina am 07.September 2018]

 

… vom Kampf gegen amerikanische Flusskrebse

Ich wohne in einem kleinen Ort, durch den ein noch kleineres Flüsschen fließt. Bisher habe ich diesem schmalen Gewässer keine große Beachtung geschenkt, da er nur gelegentlich nach starken Regengüssen so dramatisch anschwillt, dass er sich in seiner vollen Stärke und Inbrunst zeigt und die direkten Anwohner mit Wasser in ihren Kellern bedroht. Ich laufe also nahezu tagtäglich an diesem idyllisch plätschernden Strömchen vorbei, ohne mir nähere Gedanken über ihn zu machen.

So ging ich auch vor einigen Wochen wieder den üblichen Weg zum Bahnhof über eine schöne gebogene Holzbrücke, die es Fußgängern ermöglicht trockenen Fußes den Fluss zu überqueren. Dabei fiel mir ein Mann auf, der mit beiden Armen auf die Brüstung gestützt hinunter in das fließende Wasser blickte. Ich sah ihn nicht zum ersten Mal dort stehen. Immer fragte ich mich, was er wohl dort unten entdeckte, in dem für mich unbedeutenden Zufluss des Neckars. Irgendwie sah er verträumt aus, so wie er dastand, das Kinn ruhend auf den Armen. Vielleicht entspannte er sich von einem anstrengenden Arbeitstag oder wollte einfach noch einige Zeit alleine verbringen, bevor es zu seiner Familie nach Hause ging. Ich weiß nicht wieso, aber an diesem Tag stellte ich mich neben ihn, senkte meinen Kopf und schaute ebenfalls hinunter. Ich sah nichts, außer langsam fließendem Wasser und mit Algen bewachsene Steine. Der Mann neigte seinen Kopf und sah mich an.

„Was sehen Sie dort unten denn?“, fragte ich ihn. „Ich beobachte meine Döbel“, war die Antwort. Nun bin ich nicht im Fischreich bewandert, aber verstand dennoch, dass es sich zumindest um eine im Wasser lebende Tierart handeln musste, und lenkte meinen Blick wieder nach unten. Ich sah…wieder nichts. Auch nicht die Forellen und kleinen Äschen, die mir der nette Herr zielsicher mit einem Fingerzeig erkennbar machen wollte. Ich hatte nicht seinen Kennerblick. Er redete vom Zustand des Wassers und erzählte von verschiedensten Fischarten und Orten entlang des Flusses mit der größten Selbstverständlichkeit, als ob es zum Allgemeinwissen gehören würde, all dies zu wissen. Ich war auf vollkommen fremdem Terrain unterwegs, er in seinem Heimathafen. Das erkannte jedoch nur ich, nicht er. Er plauderte weiter von Fischarten, die andere vernichten, Krankheitserregern, die zur Bedrohung des Bestandes werden und amerikanischen Flusskrebsen, die ihre deutschen Artgenossen ausrotteten.

Beim letzten Punkt wurde ich hellhörig. „Es gibt hier nur noch amerikanische Flusskrebse. Die Deutschen sind weg“, sagte er noch mal klar. Ich, weltoffen und freundlich dachte natürlich direkt pragmatisch: „Naja, aber es ist ja schön, wenn es hier überhaupt noch Flusskrebse gibt, auch wenn es keine Deutschen mehr sind, oder?“ Das gefiel dem Fischer ganz und gar nicht. Man wolle die Amerikaner weghaben. „Also lieber gar keine Flusskrebse als nur Amerikanische?“, fragte ich ungläubig. „Ja, deshalb fangen wir so viele wie möglich“. Ich fand mich gerade mit dem Gedanken ab, dass also auch in deutschen Gewässern so etwas wie Fremdenfeindlichkeit herrschte, als ich noch eine Möglichkeit des Fortbestandes der Flusskrebse, egal welcher Nationalität, fand: „Was ist denn, wenn die Amerikaner weg sind? Können Sie dann die Deutschen wieder ansiedeln?“ Die Antwort von ihm legte die Naivität meiner Frage offen: „Die bekommt man nicht weg. Es sind zu viele“, sagte er und schüttelte verzweifelt den Kopf.

Der Mann, den ich so oft auf der Brücke stehen sah und von dem ich eine so romantische Vorstellung hatte, befand sich in einem niemals endenden Kampf gegen amerikanische Flusskrebse. Dennoch gab er nicht auf. Es ging darum, es nicht unversucht zu lassen, egal wie sinnlos es auch sein mag. Denn, die Fremden müssen weg, auch wenn sie niemals weg sein werden. Das Paradox bleibt bestehen – überall.

 

[erstellt von Katharina am 05.Oktober 2018]

 

… vom toten Handy

Handys sind eine verdammt unzuverlässige Methode, um Kontakte dauerhaft zu sichern. Zumindest dann, wenn die Nummer nicht auf der SIM-Karte gespeichert ist, das letzte Backup vor dem Abspeichern des neuen Kontaktes stattgefunden hat, man nicht die Cloud nutzt und dann das Handy stirbt. So wie bei mir. Mitten in der Nacht und ohne Vorankündigung eines baldigen Ablebens. Keine Hänger, kein Abstürzen, kein Heißlaufen des Akkus, nichts. Ich drückte vergeblich auf den Knopf, der sonst immer das Display zum Leuchten bringt und so meine nächtliche Neugierde auf das Erfahren der Uhrzeit befriedigt. Aber es blieb dunkel. Nicht nur tat sich das Problem auf, nicht zu wissen, wie viel Uhr es ist. Ich hatte gleichzeitig auch keinen Wecker mehr und keinen Draht zu Außenwelt. Einen kurzen Moment tat sich Panik in mir auf. Was, wenn mich nun ein Einbrecher überfällt und ich aufgrund meines nicht funktionierenden Handys keine Hilfe rufen kann? Oder ein Feuer entfacht und ich zuerst die Nachbarn herausklingeln muss, bevor die Feuerwehr verständigt werden kann? Schnell vergewisserte ich mich, dass ich zumindest etwas halbwegs Vorzeigbares anhatte, nur für den Fall der Fälle. Dann aber fiel mir das absolut Schlimmste ein. Was, wenn die Nummern nicht mehr da sind, die ich in letzter Zeit eingespeichert hatte? Solche Nummern, die nur ich hatte, keine meiner Freunde oder andere mir bekannter Personen, da sie aus Kontakten stammten, die ich in einem unabhängigen Umfeld geknüpft hatte.

Die Personen hinter diesen Nummern hatten auch meine Nummer nicht, nur eben ich ihre. Ich fühlte mich plötzlich, als ob ich der letzte Mensch auf Erden wäre, einsam und verlassen. Früher hatte man ein selbstgeschriebenes Telefonbuch. Das war etwas Handfestes. Das hat sich nicht aus purer Lust und Laune in Luft aufgelöst. Ich empfand es als wahnsinnig traurig, nun Menschen für immer verloren zu haben. Obwohl ich bis zu diesem Zeitpunkt Facebook nicht mehr so geneigt war, schwor ich mir plötzlich, in Zukunft doch wieder Freunde hinzuzufügen – nur für den Fall der Fälle. Im gleichen Gedankengang fiel mir auch noch etwas Anderes auf. Von vielen Menschen erfahren wir heutzutage nicht mehr ihren Nachnamen. Man duzt sich sofort, es zählt nur der Vorname. Früher war es normal, auch den Nachnamen zu erfragen, weil man sonst die andere Person nicht im Telefonbuch hätte finden können. Wenn man heute nur eine Handynummer und den Vornamen hat, hat man ein echtes Problem, wenn die Nummer verloren geht. In meiner nächtlichen Panikattacke versuchte ich zunächst, die Wecker-Problematik zu beheben. Wenn früher der Wecker ausfiel, musste man im Idealfall nur die Batterie wechseln. Ich besaß nicht einmal mehr einen Wecker. Zumindest aber ein iPad, das nunmehr als Wecker herhalten musste. So war immerhin das pünktliche Aufstehen gewährleistet. Am nächsten Morgen fragte ich mich, ob mich inzwischen vielleicht jemand vermisst oder ob ich etwas Wichtiges verpasst hatte.

Viel blöder war allerdings, dass ich die S-Bahn-Fahrt ohne musikalische Begleitung durchstehen musste. Ich war also ganz alleine mit mir selbst. Ob ihr es glaubt oder nicht, mir ist so einiges klar geworden. Zum einen, dass es morgens in der S-Bahn ganz schön ruhig ist, weil fast jeder Musik hört oder liest. Zum anderen erlebte ich die Fahrt in Echtzeit, nahm jeden Halt bewusst war, sah die Leute, die ein- und ausstiegen, und dachte darüber nach, welche Geschichten wohl hinter ihnen steckten. Wie sie wohl hießen, welchen Beruf sie hatten, was sie am Vorabend erlebten oder worüber sie nachdachten.

Es war schön meine Umwelt und Mitmenschen so wahrzunehmen. Ich mach das jetzt öfter – auch mit funktionierendem Handy.

 

[erstellt von Katharina am 02.November 2018]

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Katharina: Katharina hat Anglistik studiert und schreibt für verschiedene Kanäle. Sie ist besonders an internationalen Themen und den großen Fragen des Lebens interessiert.
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